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„Demokratie verteidigen heißt, jungen Menschen Räume und Rückhalt zu geben“: Im Gespräch mit Judith Strom und Peggy Eckert

Im Gespräch • 10.07.2025
Drei junge Menschen stehen vor einem Flipchart und unterhalten sich
© DKJS/Sarah Rauch

Nach dem gewaltsamen Angriff auf das Demokratiefest „Bad Freienwalde ist bunt“ sprechen Judith Strohm und Peggy Eckert im Interview über Bedrohungen für die Zivilgesellschaft, die Rolle von Jugendbeteiligung – und warum jetzt mehr denn je strukturelle Sicherheit und politische Rückendeckung braucht.

Ein Angriff auf unsere demokratischen Werte

Am 15. Juni 2025 wurde die Veranstaltung „Bad Freienwalde ist bunt“, die für gesellschaftliche Vielfalt und ein friedliches Miteinander steht, brutal angegriffen. Eine Gruppe vermummter Menschen stürmte das Fest und griff Personen gewaltvoll an. Die Veranstaltung stand im Zeichen von Demokratie, Zusammenhalt und Teilhabe – mit Beiträgen von Jugendlichen, Initiativen wie „Schülis gegen Rechts“, der Stephanus Stiftung, der Unterstützung von Geflüchteten einer Gemeinschaftsunterkunft und weiteren zivilgesellschaftlichen Akteur:innen.

Es ging um Einstehen für Demokratie und Menschenrechte, um Queerness, aber auch um Flucht und Migration. Besonders junge Menschen gestalteten die Veranstaltung aktiv mit. Der Angriff war nicht nur ein Angriff auf einzelne Gruppen, sondern auf das gemeinsame Eintreten für . Er macht deutlich: Die demokratische Zivilgesellschaft steht unter Druck – und gerade deshalb braucht es jetzt entschlossene strukturelle Antworten, insbesondere in der und Jugendbeteiligung.

Wir haben mit unseren DKJS-Kolleginnen Judith Strohm und Peggy Eckert gesprochen. Judith Strohm engagiert sich ehrenamtlich in Bad Freienwalde und war als Mitorganisatorin Teil der Veranstaltung. Sie ist seit Jahren in Programmen zum Thema „Offene Gesellschaft leben“ in der DKJS aktiv. Peggy Eckert ist DKJS-Expertin für . Im Gespräch schildern sie, was der Vorfall für junge Menschen in der Region bedeutet und warum wir mehr denn je in Demokratiebildung investieren sollten.

DKJS: Was sagt der Angriff auf die Veranstaltung über den Zustand unserer demokratischen Kultur aus?

Judith Strohm: Bei der fünften Ausgabe von „Bad Freienwalde ist bunt“ waren so viele Kooperationspartner:innen und Besucher:innen beteiligt wie noch nie zuvor. Vielen war es ein echtes Anliegen, zusammenzukommen und sich für Meinungsfreiheit, für die Rechte von Geflüchteten oder queeren Menschen einzusetzen. Gleichzeitig gab es einen brutalen Angriff auf diese friedliche Veranstaltung – mutmaßlich durch junge Menschen, die sich auffallend schnell und sportlich bewegten. Das legt nahe: Es gibt junge Menschen, für die Gewalt keine rote Linie mehr ist, die bereit sind, diese Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele einzusetzen.

Peggy Eckert: Außerdem zeigt es, dass unsere demokratische Kultur aktuell ambivalent ist. Einerseits engagieren sich viele für Demokratie und Vielfalt – andererseits zieht das Kräfte an, die diesem Engagement mit Gewalt begegnen und es so verhindern wollen.

DKJS: Wie erleben junge Menschen in eurer Erfahrung solche Vorfälle – und welche Wirkung kann das auf ihr gesellschaftliches Engagement haben?

Judith Strohm: Ein solcher Angriff ist ja zum Glück die absolute Ausnahme. Diejenigen Jugendlichen, die vor Ort waren, unter anderem die „Schülis gegen Rechts“ fühlten sich in ihrem Engagement bestärkt und werben unter ihren Peers, sich anzuschließen. Ich kann mir aber genauso vorstellen, dass es auch junge Menschen gibt, denen ein solcher Vorfall Angst macht und die sich dann eher zurückziehen.

Peggy Eckert: Neben den direkten Reaktionen auf Angriffe erleben wir auch, dass viele junge Menschen generell große Unsicherheit verspüren, wenn es um politische Meinungsäußerung geht – etwa aus Angst vor Ausgrenzung oder Konflikten. Die Ergebnisse aus dem VoiceUp!-Projekthttps://www.dkjs.de/wp-content/uploads/2024/12/voiceup_junge_stimmen_zu_meinungsfreiheit_illustriert.pdf zeigen: Viele ziehen sich zurück, weil ihnen sichere Räume für Austausch und Diskussion fehlen. Das betrifft nicht nur extreme Vorfälle wie in Bad Freienwalde, sondern den demokratischen Alltag vieler junger Menschen.

Und es gibt Regionen, in denen junge Menschen Angst vor Angriffen haben müssen, weil sie sich demokratisch engagieren und für Vielfalt und Menschenrechte einstehen. Das dürfen wir als Gesellschaft nicht zulassen. Hier braucht es eine klare Haltung.

"Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Allianz – Menschen, die sich entschlossen für Demokratie und gegen Extremismus, insbesondere Rechtsextremismus, einsetzen."

Judith Strom

DKJS: Was braucht es konkret, um Jugendliche für demokratische Werte zu gewinnen und vor Extremismus zu schützen?

Judith Strohm: Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Allianz – Menschen, die sich entschlossen für Demokratie und gegen Extremismus, insbesondere Rechtsextremismus, einsetzen. Dies muss überall in der Gesellschaft passieren: im Privaten, im Verein, in der Schule und am Arbeitsplatz. Zugleich braucht es verlässliche und langfristig finanzierte Angebote in der Jugendarbeit und der . Nur so können wir junge Menschen frühzeitig stärken, begleiten und für begeistern.

Peggy Eckert: Es braucht Projekte und strukturelle Veränderungen, um wirksam zu verankern, schon in der frühen Bildung. Die DKJS hat in ihren bildungspolitischen Empfehlungen vier klare Punkte für Demokratiebildung festgeschrieben. Neben dieser strukturellen Absicherung braucht es auch qualitative Verbesserungen: geschützte Räume für offene Gespräche, professionelle Begleitung im Umgang mit kontroversen Themen und echte Mitbestimmungsmöglichkeiten. Junge Menschen wollen Einfluss nehmen dürfen. Die VoiceUp!-Befragung hat das sehr klar gezeigt – viele fühlen sich nicht ernst genommen und erleben als folgenlos.

DKJS: Warum ist es besonders wichtig, Kinder und Jugendliche in Risikolagen gezielt zu fördern?

Peggy Eckert: Kinder und Jugendliche, die in Risikolagen aufwachsen, haben oft eingeschränkte Zugänge zu Bildung, Teilhabe und sicheren Räumen. Gerade sie brauchen gezielte Unterstützung, damit Demokratie für sie erlebbar wird – nicht als abstraktes Prinzip, sondern als Alltagserfahrung. Wer benachteiligt ist, muss besonders gestärkt werden – das ist eine Frage der Gerechtigkeit und der Zukunftsfähigkeit unserer Demokratie.

DKJS: Welche Rolle können Schulen, Jugendzentren oder Kulturorte bei der Demokratiebildung spielen?

Judith Strohm: Gerade in ländlichen Regionen spielen Sport-, Musik- und Traditionsvereine, die freiwillige Feuerwehr, Schützenvereine oder die Landfrauen eine zentrale Rolle. Dort findet das soziale Leben vor Ort statt und genau dort kann und muss Demokratie gelebt werden. Dazu gehört es auch, Gewalttaten nicht zu bagatellisieren, sondern klar zu verurteilen. Zudem ist die Basis von allem menschenfeindlichen Äußerungen entgegenzutreten. Denn auf die verbale Abwertung, Ausgrenzung und von Menschen folgt viel leichter Gewalt gegen sie. Aber das Gegenüber muss immer als Mensch wahrgenommen werden. Dafür müssen wir alle gemeinsam sorgen.

DKJS: Warum ist langfristig gesicherte Kinder- und Jugendarbeit keine freiwillige Leistung, sondern ein demokratisches Muss?

Peggy Eckert: Ja, langfristig gesicherte Kinder- und Jugendarbeit ist kein „nice to have“, sondern ein demokratisches Muss. Wenn Angebote zur und nicht verlässlich finanziert sind, wenn Strukturen immer wieder um ihre Existenz kämpfen müssen, entsteht ein gefährliches Vakuum.

Judith Strohm: Dieses Vakuum wird schnell gefüllt: Rechtsextreme Gruppierungen machen nicht nur ideologische Identifikationsangebote. Es gibt Naturerlebnisse und Sport, Camping und Wandern. Zur Demokratiestärkung braucht es also Räume, in denen Kinder und Jugendliche mitgestalten, sich ausprobieren und Zugehörigkeit erfahren können – ohne Ausgrenzung, ohne Ideologie, aber mit demokratischer Haltung.

DKJS: Welche Verantwortung tragen Bund, Länder und Kommunen, um hier stabile Strukturen zu schaffen?

Judith Strohm: Die öffentliche Hand muss diese stabilen Strukturen zur und -förderung sichern, schon aus Eigeninteresse. Denn die Bedrohungen der Demokratie treffen längst nicht nur Akteur:innen der Zivilgesellschaft, sondern auch Menschen, die sich insbesondere auf kommunaler Ebene politisch engagieren. Bürgermeister:innen, Landrät:innen, Gemeinde- und Stadtverordnete demokratischer Parteien werden vielerorts massiv angefeindet. Damit auch weiter Menschen bereit sind, diese Ämter zu übernehmen, brauchen wir gesicherte Mittel und Strukturen zur Demokratiebildung und -förderung. Demokratie lebt vom Engagement der Menschen – vom Ehrenamt, von Zivilcourage. Aber das allein reicht nicht. Es braucht Strukturen, die das tragen: verlässliche Unterstützung, ausreichend Ressourcen und eine Finanzierung, die nicht bei der Haushaltsdebatte wackelt.

„Es braucht Projekte und strukturelle Veränderungen, um Demokratiebildung wirksam zu verankern, schon in der frühen Bildung.“

Peggy Eckert

DKJS: Was wünschst du dir konkret von politischen Entscheidungsträger:innen nach diesem gewalttätigen Angriff?

Judith Strohm: Ich wünsche mir, dass politische Entscheidungsträger:innen diesen Angriff klar als das benennen, was er war: ein gezielter Akt der Gewalt gegen eine friedliche demokratische Versammlung. Die Gewalt muss klar benannt werden, um sich von ihr abzugrenzen. Wer sie verharmlost, ermutigt zur Wiederholung.

Wir hatten großes Glück, dass es nicht mehr und schwerer verletzte Personen gab, wobei sich noch bis heute Betroffene in medizinischer Behandlung befinden.

Ich wünsche mir auch, dass die vielen kleinen und oft ehrenamtlich getragenen Demokratie-Initiativen im Land die Anerkennung und Unterstützung erhalten, die sie verdienen. Auch wenn es politische Differenzen geben mag: Entscheidungsträger:innen müssen aktiv dafür eintreten, Orte der politischen Versammlung und Meinungsfreiheit aufrecht zu erhalten.

DKJS: Wie kann ein besserer Schulterschluss zwischen Staat, Stiftungen und zivilgesellschaftlichen Initiativen aussehen?

Judith Strohm: Wenn ich auf unser Beispiel in Bad Freienwalde schaue: Wir sind bewusst kein Verein, sondern eine Bürgerinitiative. Was uns stärkt und hilft, sind innovative Fördermodelle, wie sie u.a. die Bürgerstiftungen, aber auch andere Förderpartner bereits erfolgreich umsetzen. Dabei erfolgt die Förderung über gemeinnützige Partnerorganisationen. Das bedeutet: Wir reichen lediglich Rechnungen ein, der Verwaltungsaufwand ist also minimal und wir können uns auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren. Eine solche Unterstützung müsste gerade für die sehr kleinen Initiativen, die es überall im Land gibt, ausgeweitet werden.

DKJS: Was macht Mut – trotz allem?

Judith Strohm: Die Veranstaltung „Bad Freienwalde ist bunt“ hat stattgefunden mit so vielen Kooperationspartner:innen und Besucher:innen wie nie zuvor. Und vielleicht werden wir im nächsten Jahr weiterwachsen. Ich habe keinen Zweifel, dass es auch im Jahr 2026 wieder eine Veranstaltung geben wird.

Das Interview wurde zuerst am 24.06.2025 veröffentlicht auf www.dkjs.dehttps://www.dkjs.de/demokratie-verteidigen-heisst-jungen-menschen-raeume-und-rueckhalt-zu-geben/.

Autor:in

Name Autor:in

Janice Fuchs

Janice Fuchs ist für fachliche und inhaltliche Prozesse zuständig. Sie ist im Team bekannt für ihre effiziente Arbeitsweise und ihre Liebe zu Blumen. 

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