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Emotionen in der Demokratiebildung – zwischen Angst und Vertrauen?

Zum Thema • 31.10.2024
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© DKJS / Franziska Schmitt

Wie können starke Emotionen, die unterschiedlich erlebt werden, bearbeitet und aktiv in den Bildungsprozess eingebunden werden? Welche Rolle spielen Emotionen in gesellschaftlichen Diskursen? Und wie können pädagogische Fachkräfte mit eigenen Emotionen und den Gruppenprozessen umgehen? Darum ging es beim Digitalcafé „Emotionen in der Demokratiebildung – zwischen Angst und Vertrauen“ am 23. Oktober 2024.

Früher galt in der Politik oft der Rat, „einen kühlen Kopf zu bewahren“ und rational zu handeln, wobei Emotionen als privat betrachtet wurden. Heute wissen wir, dass Emotionen unser Verständnis bereichern und eng mit unseren Erfahrungen und Wertvorstellungen verknüpft sind. Jede:r bringt unterschiedliche Gefühle zu denselben Themen mit, was die Vielfalt unserer Werte widerspiegelt.
Emotionen wie Begeisterung, Empathie, Wut und Enttäuschung sind wichtige Bestandteile des politischen Erlebens und sollten in der berücksichtigt werden. Für pädagogische Fachkräfte kann es eine Herausforderung sein, emotional aufgeladene Themen zu behandeln.

Paul Hübler von der John Dewey Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratiehttps://tu-dresden.de/gsw/phil/powi/joddid zeigte in seinem Impuls: Emotionen sind komplexe Phänomene, die sowohl naturwissenschaftlich als auch sozial- und kulturwissenschaftlich betrachtet werden können. Naturwissenschaftlich betrachtet entstehen Emotionen häufig im Reflex und zielen auf Schutz. Sozial- und kulturwissenschaftlich gesehen sind Emotionen abhängig von unserer Sozialisierung. Beispielsweise ist Angst eine grundlegende Emotion, die jedoch stark von kulturellen und sozialen Kontexten geprägt ist. In verschiedenen Kulturen kann die Wahrnehmung und der Ausdruck von Angst variieren. So sind die Gründe für Angst und deren Bewältigungsstrategien oft durch die jeweilige Sozialisation und kulturelle Prägung beeinflusst.

Emotionen entstehen durch Urteile und sind Bewertungen, die sich auf unsere Werte und Überzeugungen beziehen. Sie helfen uns, uns in der Welt zu orientieren und schaffen stabile Gewissheiten. Emotionen stehen in Beziehung zu unserem Selbst und zur Umwelt, sind kontextabhängig und werden sozial vermittelt sowie historisch geprägt, was auch zu kollektiven Ängsten führen kann.

Zum Verhältnis von Emotionen und politischer Bildung zitiert Paul Prof. Dr. Anja Besand: „Emotionen spielen im Prozess politischer Bildung auch in Deutschland eigentlich von Beginn an eine zentrale Rolle. Allerdings geht es zumeist um ihre Beherrschung, ihre Kanalisierung oder die Entwicklung ganz spezifischer Gefühle.“ Dieses Verhältnis ist historisch negativ geprägt, mit einem Fokus auf Nüchternheit und Rationalität. Emotionen galten lange als pathologisch und als Hindernis für politische Meinungsbildung. Rationalität sollte erlernt werden, um demokratische Transformation zu fördern, was teils auf die Instrumentalisierung von Emotionen im Nationalsozialismus zurückzuführen ist. Diese Pathologisierung ist jedoch ein unzureichender Umgang mit menschlichen Emotionen. Denn Emotionen sind Teil eines jeden Erkenntnisprozesses und stehen daher auch immer Beziehung zu Rationalität. Paul stellt dar: „Emotionen sind ein Zugang zur sozialen Welt, kein Störfaktor“.

Emotionen lassen sich nicht aus Bildungsprozessen ausschließen

Emotionen lassen sich daher aus Bildungsprozessen auch nicht ausschließen. Wir müssen vielmehr aktiv mit ihnen umgehen, da sie unser politisches Urteilen und Handeln beeinflussen. Sie sind immer präsent und sollten daher in Bildungsprozessen sichtbar gemacht werden. Viele komplexe politische Phänomene erfordern emotionale Zugänge, die helfen, die Hoffnung auf eine gestaltbare Welt zurückzubringen. Allerdings können Emotionen auch hemmend wirken, etwa durch ablehnende Gefühle, Hoffnungslosigkeit oder Einsamkeit. Für die praktische Umsetzung gibt Paul den am Digitalcafé teilnehmenden schulischen und außerschulischen Fachkräften folgende Tipps mit an die Hand: Pädagogische Fachkräfte sollten Emotionen in Bildungssituationen ernst nehmen und ihnen Raum geben. Ziel ist es, Selbstreflexion und Selbstregulation zu fördern, statt Emotionen zu unterdrücken. Dies erfordert eine starke Bindung zu den Lernenden, denn eine gute Beziehung fördert ehrliche Emotionen. Problematische Meinungen sollten abgelehnt werden – aber nicht die Menschen selbst. Eine gewisse pädagogische „Coolness“ kann dabei hilfreich sein. Für den Umgang mit eigenen Emotionen in der politischen Bildungsarbeit ist es wichtig: „Emotionen zur Schau stellen, [denn] es ist normal, dass wir als pädagogische Fachkräfte Emotionen haben“. Pädagogische Fachkräfte haben für viele jungen Menschen eine Vorbildfunktion und sollten mit gutem Beispiel voran gehen, das heißt ehrliche Emotionen und Grenzen zeigen. Beim Umgang mit eigenen Emotionen als Demokratiebildner:innen ist es wichtig, diese zuzulassen und preiszugeben, aber nicht durch die eigene Position mögliche Kontroversität zu verhindern.

Emotionen versus Fakten?

Gerade wenn statt Fakten vor allem Emotionen im Spiel sind, ist es wichtig, eine ausgewogene Haltung zu wahren. Emotionen sind bedeutend, doch Fakten zählen weiterhin. Pädagogische Fachkräfte sollten klare Position beziehen und Widersprüche aufzeigen. Denn: „die Grenzen der Toleranz gehen dort los, wo es intolerant und unwissenschaftlich wird“.

Auch ist es wichtig, die Gruppe gut im Blick zu behalten. Im Gruppenkontext ist es wichtig, bei emotionalen Äußerungen Einzelner sensibel vorzugehen. Starken Emotionen soll zwar Raum gegeben werden, jedoch muss ab einem gewissen Punkt der Schutz der Betroffenen Priorität haben, anstatt nur einer lauten Stimme Gehör zu verschaffen. Es ist entscheidend, zu klären, wie es der betroffenen Person geht: Muss sie sich beteiligen oder kann sie sich zurückziehen? Pädagogische Fachkräfte sollten aufmerksam sein, da emotionale Betroffenheit oft nicht verbalisiert wird. Beziehungsarbeit hilft, um zu wissen, wer im Raum ist und die Emotionen der Betroffenen zu berücksichtigen. Bindung ist also der Schlüssel, um die Dynamik in der Gruppe zu verstehen und zu unterstützen.

Im Austausch der teilnehmenden schulischen und außerschulischen pädagogischen Fachkräfte in Kleingruppen wurde häufig festgestellt, dass vor allem der Bindungsaufbau viel Zeit in Anspruch nimmt, die häufig gar nicht gegeben bzw. durch temporäre Projektarbeit begrenzt ist. Eine Fachkraft einer Schule sagte: „Bindung entsteht nur durch kontinuierliche Stabilität, aber oft sind Projekte nur zeitlich begrenzt, doch grundsätzlich sollte jede:r Schüler:in das Gefühl haben, gehört zu werden“. Für eine Auseinandersetzung mit Emotionen teilten die Fachkräfte ihre Erfahrung mit der Ziehung von Grenzen und das Achten von Betroffenheit. Dabei wurde festgestellt, dass „je besser sich Teilnehmenden untereinander kennen, desto besser ist der respektvollere Umgang, auch wenn es verschiedene Meinungen gibt“.

Zum Schluss des Digitalcafés betont Paul, dass es nicht einfach ist mit Emotionen in der politischen Bildung umzugehen. Es braucht Mut, aber vor allem ist die Bindung der Schlüssel für einen erfolgreichen Umgang. Ein guter Start für die bewusste Auseinandersetzung mit Emotionen kann es sein, die im Raum vorhandenen Emotionen sichtbar zu machen. Dabei können die Riesenplakate "Was macht mir Angst?" und "Was macht mir Hoffnung?"https://www.reflexionstool-demokratiebildung.de/materialien/methode-die-riesenarbeitsblaetter helfen.

Viele Methoden, Studien und Materialien findest du auf der TaskCard zum Digitalcafé.https://dkjs.taskcards.app/#/board/e92150c8-eaf6-48be-86d9-bead7378e2f6?token=a738a3a5-94c3-4390-bb88-c243d4d1b453

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Anne Groß

Anne Groß ist Projektassistenz. Sie ist im Team bekannt für ihre kreativen Lösungen und ihre Hands-On-Mentalität.

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